ES GIBT KEIN UNPOLITISCHES LEBEN

Oliver Nolte • 22. Februar 2021

Es gibt kein unpolitisches Leben

"Freiheiten im Sinne von Bürgerrechten sind das Ergebnis von Befreiung, aber sie sind keineswegs der tatsächliche Inhalt von Freiheit, deren Wesenskern der Zugang zum öffentlichen Bereich und die Beteiligung an den Regierungsgeschäften sind. 


[...] Und diese Art von Freiheit erfordert Gleichheit, sie ist nur unter seinesgleichen möglich. Institutionell gesehen ist sie allein in einer Republik möglich, die keine Untertanen und, streng genommen, auch keine Herrscher kennt" (Hannah Arendt, "Die Freiheit, frei zu sein").


"[...] Ohne allgemeine Wahlen, ungehemmte Presse-und Versammlungsfreiheit, freien Meinungskampf erstirbt das Leben in jeder öffentlichen Institution, wird das Scheinleben in der Bürokratie allein das tätige Element" (Rosa Luxemburg - aus Hannah Arendt, "Die Freiheit, frei zu sein").



Liebe Damen und Herren,


wir leben in Zeiten großer gesellschaftlicher Herausforderungen und Umbrüchen. Aktuell müssen wir die Pandemie bewältigen. Aber die größten Herausforderungen im Zusammenhang mit der fortschreitenden Digitalisierung und den notwendigen Veränderungen in Folge des Klimawandels stehen uns noch bevor. Diese zu bewältigen wird große gesellschaftliche Änderungen erfordern.  Wollen wir unser friedliches und freiheitliches Leben bewahren, müssen diese Veränderungen in unserer Gesellschaft unter Einbezug aller Meinungen diskutiert werden. 


Wir leben in einer Republik. Der Wesenskern der Republik ist es, dass sich das Volk selber die Gesetzte gibt, denen es folgt. Das ist der Kerngedanken der Freiheit. Er beinhaltet, dass die Entscheidung für ein Leben in Freiheit auch die Entscheidung für ein politisches Leben bedeutet. Wir alle - wollen wir die Freiheit bewahren - sind also gefordert, diesem politischen Leben gerecht zu werden.


Damit dies in Zeiten von großen Umbrüchen einvernehmlich und ohne gesellschaftliche Polarisierung gelingt, muss sich jeder einzelne von uns darüber bewusst sein, was Freiheit im Sinne unserer Staatsform wirklich bedeutet. Und wie sehr ihr eine sachlich kontroverse Auseinandersetzung ebenso inhärent ist, wie das Vermögen, sich darüber nicht in den persönlichen Beziehungen zu distanzieren oder gar gegenseitig auszugrenzen.


Das ist leicht gesagt und theoretisch einleuchtend. Aber es ist nicht immer leicht in der Praxis umzusetzen. Wir erleben heute zunehmend, dass die Art wie wir unsere Diskussionen führen zu einer Schwarz-Weiß-Kultur mutiert. Entweder man ist dafür oder dagegen. Es finden zu wenige differenzierte Debatten statt. Meinungen, die nicht dem Mainstream entsprechen, werden vielfach verhöhnt und die Diskutanten, die diese äußern, als Person diskriminiert. Dabei zeichnet sich die Demokratie gerade dadurch aus, dass sie die Minderheiten schützt und integriert, und solange diskutiert wird, bis ein Konsens gefunden ist. Für Habermas bedeutet Konsens gleich Wahrheit. Und dafür ist jeder einzelne von uns in seinem täglichen Leben verantwortlich. Wir können die Politik nicht ausschließlich an Politiker delegieren.

Wir alle sind gefordert uns mit dem politischen Teil unseres Lebens auseinanderzusetzen und immer wieder zu reflektieren, wie wir uns im Sinne unserer freiheitlichen, demokratischen Grundordnung richtig verhalten können und wie wir das Verhalten anderer einordnen und damit umgehen können. Das betrifft den Gang zur Wahlurne, aber auch die Diskussion unter Freunden, am Stammtisch, in Vereinen, auf social Media, ... . Das ist keine Selbstverständlichkeit, da es zuweilen sehr kompliziert und auch emotional herausfordernd ist. Vorschnelle Urteile helfen nicht. Nur eine gemeinsamer andauernder Diskussions- und Reflexionsprozess.

Und wo, wenn nicht am Theater, sollte dafür Platz geschaffen werden. Das Theater ist seit der Antike der Ort der Reflexion von gesellschaftlichen Herausforderungen. Das Theater ist der Ort der Handlung, des praktischen Lebens. Aber um dies als Theatermacher umzusetzen, ist dem immer ein theoretischer Prozess vorgelagert: Die Überlegung, wie verhält sich eine Person in einer bestimmten Situation? Welche Haltung hat sie? Und auf welchen Überlegungen fußt diese Haltung?

Der Theatermacher vollzieht im Prinzip genau den Prozess, den Aristoteles in seiner nikomachischen Ethik zur Herausbildung von Tugenden beschreibt. Auf der Basis von Wissen erarbeitet man eine Haltung (Hexis), die das Handeln bestimmt. Um dies aber in der Lebenspraxis umsetzen zu können, bedarf es der Ausbildung von Tugenden, die unser Verhalten in spontan herausfordernden Situationen lenken und uns davor schützen unseren emotionalen Impulsen zum Opfer zu fallen.


Mit Philosophie & Schauspiel bieten wir Zeit und Raum, mit Ihnen gemeinsam diesen Prozess anhand aktueller gesellschaftlicher Herausforderungen zu reflektieren.


Wir freuen uns auf kontroverse, konstruktive und wertschätzende gemeinsame Veranstaltungen mit hoffentlich neuen Erkenntnissen.

von Oliver Nolte 19. Februar 2021
Ich baue gerade die neue Wesite auf, um auch alle neuen Formate des Theaters unterbringen zu können. Dazu zählen die Lyrik-Formate von Birgit Nolte-Michel "Die Welt hochwerfen" und "Begegnung mit Lyrik" und die Format PHILOSOPHIE & SCHAUSPIEL mit "Einstimmig", "Ruhestörung+" und "Hexis".